Echtzeit-Überwachung : So funktioniert das XKeyscore-Programm der NSA - WELT (2024)

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Der amerikanische Geheimdienst NSA kann Internetaktivitäten weitaus genauer überwachen als bisher bekannt. Das enthüllte die britische Zeitung „Guardian“. Das Blatt veröffentlichte eine NSA-Präsentation, die ihm Whistleblower Edward Snowden zugespielt hatte. Demnach haben Mitarbeiter der Geheimdienstes über die Software XKeyscore Zugriff auf riesige Datenmengen aus dem Internet und können, so schreibt die Zeitung, „nahezu alles, was ein typischer Internetnutzer tut“, erfassen. Die „Welt“ beantwortet mit Bezug auf die neuen Enthüllungen die wichtigsten Fragen zu XKeyscore.

Was ist XKeyscore?

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XKeyscore ist eine Software, die der Überwachung und der Durchsuchung von Daten dient. Zum einen werden die Internetaktivitäten von Nutzern in Echtzeit überwacht – also besuchte Websites, Inhalte von E-Mails und Anfragen an Suchmaschinen. Zudem werden die Metadaten erfasst. Die Daten werden verschlagwortet und können später durchsucht werden – etwa nach E-Mail-Adressen, Telefonnummern oder Namen, aber auch nach Schlagworten. Zudem ermöglicht es XKeyscore, die IP-Adressen aller Internetnutzer, die eine bestimmte Website besucht haben, anzuzeigen. Die Geheimdienstmitarbeiter sollen mit Hilfe der Software außerdem Verdächtige entdecken können, die bislang nicht unter Beobachtung standen – beispielsweise Menschen, die in einer für ihren Standort ungewöhnlichen Sprache kommunizierten. Als Beispiel wird genannt: Deutsch in Pakistan. Über eine Suchmaske können solche Nutzer gefunden werden. Diese Funktion unterscheide XKeyscore von den anderen bislang bekannten Spähprogrammen, schreibt der „Guardian“.

Wie wird XKeyscore bedient?

Der NSA-Mitarbeiter gibt in ein Suchfeld bestimmte Schlagworte ein. Will ein Mitarbeiter etwa E-Mails einer bestimmten Person lesen, gibt er die E-Mailadresse und den Grund für die Suche sowie den Suchzeitraum ins Feld ein. Die angezeigten E-Mails können dann mit einer speziellen NSA-Lesesoftware geöffnet werden. Ähnlich funktioniert die Suche nach Facebook-Unterhaltungen oder nach besuchten Websites.

XKeyscore sammelt so große Mengen an Daten, dass diese bislang nur für kurze Zeit gespeichert werden können. Inhalte wie etwa der Text in E-Mails werden für drei bis fünf Tage im System gespeichert, Metadaten für 30 Tage. Für die NSA interessante Daten können aber in einer anderen Datenbank für bis zu fünf Jahre gespeichert werden. Einem der Dokumente zufolge, so schreibt es die Zeitung, enthalten die XKeyscore-Datenbanken mittlerweile die größte Menge an Kommunikationsdaten, die die NSA gesammelt hat. Im Jahr 2012 wurden demnach in einem Zeitraum von 30 Tagen mindestens 41 Milliarden Einträge gesammelt und gespeichert.

Wer hat Zugriff auf die Software?

In einer Stellungnahme der NSA heißt es, Zugang zu XKeyscore hätten nur geschulte Mitarbeiter, die das Programm für ihre Arbeit bräuchten. In einem Interview vom Juni hatte Edward Snowden allerdings behauptet, er, der als Angestellter einer anderen Firma für die NSA tätig war, habe praktisch jeden Internetnutzer überwachen können. „Ich an meinem Schreibtisch hatte die Berechtigungen, jeden anzuzapfen – Sie, ihren Buchhalter, einen Bundesrichter oder den Präsidenten, wenn ich eine private E-Mail-Adresse hätte“, sagte er damals.

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Der Sprecher von US-Präsident Barack Obama, Jay Carney, erklärte, XKeyscore sei nur ausgewählten Personen zugänglich und unterliege strengsten „gegenseitigen Kontrollen“ gegen Missbrauch. „Der Vorwurf flächendeckender, ungeprüfter Zugriffe auf NSA-Daten ist falsch.“

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In Deutschland setzt das Bundesamt für Verfassungsschutz XKeyscore testweise ein. Laut dem „Spiegel“, der sich auf geheime Unterlagen des US-Militärgeheimdienstes beruft, setzt auch der deutsche Auslandsgeheimdienst BND XKeyscore ein. Ob es sich um die gleiche Version mit ähnlichen Möglichkeiten handelt, über die nun berichtet wird, ist allerdings nicht bekannt.

Wer überprüft die Nutzung?

Dem Bericht zufolge können NSA-Mitarbeiter ohne spezielle richterliche Erlaubnis auf die Daten zugreifen. Sie müssen nur eine allgemeine Begründung abgeben. Nach amerikanischem Recht wäre für die Überwachung von US-Bürgern allerdings eine richterliche Genehmigung erforderlich. Laut „Guardian“ ist eine solche Erlaubnis nicht nötig, wenn der US-Bürger in Kontakt mit einer ausländischen Zielperson der NSA steht.

Die NSA selbst erklärte: „Der Vorwurf, dass die NSA willkürlich und unkontrolliert Daten sammelt, ist falsch.“ Zum Schutz gegen einen gezielten Missbrauch des Systems gebe es mehrere technische Sicherungen und eine Kontrolle durch Vorgesetzte.

Woher stammen die Daten?

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Das System kann auf mehrere Datenquellen zugreifen: F6-Hauptquartiere und -Standorte, abgefangene Satellitenkommunikation und SSO-Standorte. Bei F6 handelt es sich „Spiegel Online“ zufolge um den Special Collection Service, der eine gemeinsame Organisation der Geheimdienste NSA und CIA sei. Sie sammle Informationen an Orten, an denen sie besonders schwierig zu bekommen seien. SSO steht für die NSA-Unterorganisation Special Source Operations, die Telekommunikations-Metadaten sammelt. Dem Dokument zufolge umfasste das Programm im Jahr 2008 mehr als 700 Server an über 150 Orten auf der ganzen Welt. Via XKeyscore können alle Standorte mit einer zentralen Suche abgefragt werden.

Wie reagieren Politik und Geheimdienst auf die Enthüllung?

NSA-Chef Keith Alexander appellierte auf der Hacker-Konferenz Black Hat in Las Vegas an die Computerexperten, dem Geheimdienst zu helfen. „Wir stehen für Freiheit“, sagte er. Die NSA wolle Terroristen beobachten, nicht normale Amerikaner.

In Deutschland forderte der innen- und netzpolitische Sprecher der Grünen, Konstantin von Notz, Konsequenzen. Er sieht die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung beschädigt: „Ein System wie XKeyscore funktioniert nur, weil Staaten dies grenzübergreifend dulden, und auch Deutschland spielt hier offenkundig eine relevante Rolle.“ Die Argumentation, es handele sich nur um einen Testeinsatz, sei „unhaltbar, denn so verfassungswidrig es für Sicherheitsbehörden wäre aus Testzwecken zu foltern, so wenig dürfen sie an der offenkundig verfassungswidrigem Totalüberwachung partizipieren“.

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